Stellungnahme zum Referentenentwurf des Vergabebeschleunigungsgesetzes
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWE) hat Ende Juli den Referentenentwurf des ‘Vergabebeschleunigungsgesetzes’ veröffentlicht und uns im Rahmen der Verbändeanhörung um eine Stellungnahme gebeten. Gerne fassen wir hier zusammen, wie unsere Sicht darauf ist.
Auch wenn wir das Ziel des Vergabebeschleunigungsgesetzes, Verfahren zu vereinfachen, Planungs- und Investitionssicherheit zu erhöhen sowie mehr Innovationen zu ermöglichen, begrüßen, ist der Entwurf aus Sicht sozialunternehmerischer Akteure in wesentlichen Aspekten hinter früheren Ansätzen zurückgefallen.
Vorab ein grundlegender Punkt: Es gibt zwei unterschiedliche Ebenen einer verbesserten Vergabe.
Ebene 1: Vergabe unter Berücksichtigung sozialer/ökologischer Standards
Hier werden klassische Dienstleistungen (z. B. Gebäudereinigung, Catering, IT-Hardware) vergeben. Dabei sollten zusätzliche Kriterien wie faire Arbeitsbedingungen oder ökologische Standards berücksichtigt werden.
Ebene 2: Direkte Beschaffung gesellschaftlich relevanter Dienstleistungen
In vielen Bereichen (insbesondere in den Sozialgesetzbüchern) erbringen staatliche Stellen Leistungen direkt, beispielsweise in den Bereichen Arbeitsvermittlung, Bildung und Pflege. In diesen Fällen ist neben der Art des Anbieters vor allem die Wirkung der Dienstleistung entscheidend – eine Wirkung, die sich mit outcome-orientierten Verfahren messen und steuern lässt.
Gehen wir nun in die beiden Ebene hinein und schauen uns den Gesetzentwurf genauer an:
Ebene 1:
1.1 Keine Verpflichtung
Wir bedauern die Streichung des ursprünglich vorgesehenen § 120a GWB, mit dem die verbindliche Berücksichtigung sozialer, ökologischer und innovativer Kriterien im Vergaberecht vorgesehen war. Stattdessen enthält § 113 GWB n.F. lediglich eine Verordnungsermächtigung, ohne konkrete Verpflichtung oder Umsetzungsfristen.
Auswirkungen auf Sozialunternehmen:
- Fehlende Planungssicherheit: Soziale Wirkung wird weiterhin nicht systematisch honoriert.
- Wettbewerb bleibt verzerrt: Klassische Anbieter (die bestimmte Kosten auf Staat und Gesellschaft externalisieren) haben strukturell Vorteile.
- Nachhaltigkeit als „Kann“-Regel bleibt zahnlos.
Unsere Forderung:
- Rückkehr zu einer verbindlichen Regelung, sei es durch Wiedereinführung von § 120a GWB oder durch eine klare Ergänzung in § 113 GWB n.F., etwa: „Die Verordnung hat die Berücksichtigung ökologischer und sozialer Aspekte als Regelfall auszugestalten, sofern sachlich einschlägig.“
1.2 § 55 BHO – Direktvergabegrenze auf 50.000 €: Erleichterter Zugang für Sozialunternehmen
Die im Referentenentwurf vorgesehene Anhebung der Direktvergabegrenze auf 50.000 € netto (§ 55 Abs. 3 BHO n.F.) ist ein konkreter Fortschritt. Sozialunternehmen – insbesondere kleinere Anbieter – können damit niedrigschwellig in öffentliche Vergabeprozesse einsteigen, ohne formale Hürden und umfangreiche Ressourcen.
Positive Effekte für Sozialunternehmen:
- Bessere Teilhabe von jungen, lokal verankerten Organisationen.
- Liquiditäts- und Planungssicherheit in frühen Projektphasen.
- Förderung innovativer Ansätze in Bildung, Soziales und Umwelt durch unbürokratischen Marktzugang.
Unsere Forderung:
- Flankierung durch entsprechende Hinweise in Leitfäden und Richtlinien, um Sozialunternehmen gezielt zu berücksichtigen.
- Harmonisierung mit Landeshaushaltsordnungen und UVgO, um bundeseinheitliche Klarheit zu schaffen.
1.3 § 14b UVgO (geplant) – Innovations-Direktauftrag bis 100.000 €: Wirkungsvolle Hebel für Start-ups und Gemeinwohlakteure
Der ältere Entwurf sah einen § 14b UVgO vor, der eine Sonderwertgrenze von 100.000 € für innovative Direktvergaben an Start-ups und gemeinwohlorientierte Unternehmen ermöglichte. Dieser Ansatz wurde im aktuellen Entwurf jedoch nicht weiterverfolgt, was einen deutlichen Rückschritt darstellt.
Begründung laut Vorversion:
„Durch diese vereinfachte Auftragsvergabe von innovativen Aufträgen entstehen Anreize [...] und die Modernisierung der Verwaltung wird vorangetrieben.“
Wir bewerten diese Regelung als unverzichtbar, weil:
- Sie gezielte Innovationspartnerschaften zwischen Staat und Sozialunternehmen ermöglicht.
- Sie die Verwaltung befähigt, experimentell und lösungsoffen zu handeln.
- Sie einen systematischen Zugang für kleinere, wirksame Anbieter schafft, gerade dort, wo klassische Anbieter nicht mehr weiterkommen.
Unsere Forderung:
- Unbedingte Wiederaufnahme der Sonderregelung für innovative Leistungen im Zuge der anstehenden UVgO Novelle. Eine Kombination mit klaren Auswahlkriterien (z. B. sozial-ökologische Wirkung, Wirkungsnachweise) wäre möglich und zielführend.
Betrachtet man nun Ebene 2 im Hinblick auf den Entwurf, muss man leider feststellen: Die Wirkungsorientierung fehlt komplett.
Ebene 2:
2.1 Wirkung messbar machen: Outcome-basierte Vergabe und Steuerung
In vielen gesellschaftlich relevanten Bereichen, wie Bildung, Arbeitsmarktintegration oder Pflege, kommt es bei der Vergabe öffentlicher Mittel nicht nur auf den Preis und formale Kriterien an, sondern vor allem auf die tatsächliche Wirkung der Leistung für die Zielgruppe an. Eine wirkungsorientierte (outcome-basierte) Vergabe und Steuerung öffentlicher Aufträge rückt diese Wirkung in den Mittelpunkt: Sie zielt nicht nur auf die erbrachte Leistung an sich ab, sondern auf den konkreten Unterschied, den sie für die Menschen macht. Durch geeignete Indikatoren (KPIs) wird diese Wirkung messbar und steuerbar gemacht.
Dieser Ansatz eröffnet insbesondere bei der Beschaffung sozialer Dienstleistungen erhebliche Potenziale: von einer höheren Effektivität staatlichen Handelns über gezielte Anreize für passgenaue, wirksame Lösungen bis hin zur Förderung kleinerer, innovativer Anbieter. Eine outcome-basierte Vergabe trägt somit nicht nur zu einem effizienteren Einsatz öffentlicher Mittel bei, sondern auch zu einem zukunftsfähigen und wirkungsorientierten Sozialstaat.
Für die öffentliche Hand ergeben sich daraus klare Vorteile:
- Treffsicherheit stärken: Programme erreichen gezielter die Menschen, die sie wirklich brauchen.
- Haushaltsmittel wirkungsvoller einsetzen: Mit einem Fokus auf nachweisbare Ergebnisse lässt sich die Effizienz staatlicher Investitionen steigern.
- Innovationen ermöglichen: Anbieter mit neuen, lokal verankerten Ansätzen erhalten eine faire Chance, ohne dass der Innovationsdruck ausschließlich auf der Verwaltung lastet.
In anderen europäischen Ländern, wie etwa Österreich, Finnland oder Portugal, wurden dafür gezielte Umsetzungsinstrumente entwickelt. Dazu zählen unter anderem wirkungsorientierte Vergabeverfahren mit klaren Zielvorgaben, indikatorenbasiertes Monitoring, Outcome-basierte Verträge oder auch pilotartige Leistungsvereinbarungen, bei denen Zahlungen an Ergebnisse gekoppelt sind. Es existieren also Spielräume hierfür im EU-Recht.
Unsere Forderung:
- Wirkungsorientierung wie im Koalitionsvertrag zu verankern.
Daraus ergeben sich für die Verordnungs- und Regelungsebenen:
- Wirkung systematisch als Zuschlags- und Steuerungskriterium zu ermöglichen.
- KPIs und indikatorenbasierte Steuerung in Vergabehandbüchern und Leitfäden zu verankern.
- Verwaltung durch Qualifizierung und Beratung dabei zu unterstützen, wirkungsorientierte Verfahren rechtssicher und pragmatisch anzuwenden. (Eine zentrale Rolle kann hier KOINNO spielen, etwa beim Wissenstransfer, der Entwicklung praxisnaher Schulungen und der Begleitung erster Pilotvorhaben.)
Fazit:
Das Vergabebeschleunigungsgesetz birgt Chancen, bleibt aber hinter dem Anspruch zurück, die öffentliche Beschaffung strategisch zu nutzen.
Die gezielte Förderung sowohl verantwortungsvoller Anbieterwahl (Ebene 1) als auch sozialer und ökologischer Wirkungsziele (Ebene 2) ist zentral für eine moderne Beschaffungskultur und eine leistungsfähige, wirkungsorientierte Staatsmodernisierung.
Die Wirkungsorientierung war politisch eigentlich vereinbart. So bekennt sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag dazu, sowohl in Bezug auf die Verwaltung und das Haushaltswesen als auch im Kontext einer leistungsfähigen, ziel- und wirkungsorientierten Staatsmodernisierung. Diese Leitlinie muss sich auch im Vergaberecht widerspiegeln – dem zentralen Steuerungsinstrument staatlichen Handelns.
Dass der Entwurf zur Vergabereform das Thema Wirkungsorientierung nicht einmal erwähnt, ist ein verpasstes Signal. Besteht die Gefahr, die Handlungsspielräume des Staatsmodernisierungsministeriums zu beschneiden?
Strategische Vergabe braucht Tempo und Zielgenauigkeit. Wir als SEND appellieren deshalb an das BMWE, nicht nur schnellere, sondern auch zielgerichtet bessere Vergaben zu ermöglichen, mit klarer Wirkungsausrichtung, Innovationsorientierung und Zugangsgerechtigkeit für Sozialunternehmen. Wir stehen bereit, diese Weiterentwicklung mit konkreten Vorschlägen zu unterstützen.
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